Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik Forschung Forschungsprojekte
SeWAGE PLANT H - Sektorgekoppelte Wasserstoff-, Sauerstoff- und Abwärmeproduktion auf den Großklärwerk Hannover-Herrenhausen

SeWAGE PLANT H - Sektorgekoppelte Wasserstoff-, Sauerstoff- und Abwärmeproduktion auf den Großklärwerk Hannover-Herrenhausen

Leitung:  Dr.-Ing. Maike Beier, PD Dr.-Ing. habil. Dirk Weichgrebe
Team:  Sara Zahedi Nezhad, Arne Freyschmidt
Jahr:  2025
Förderung:  Land Niedersachsen (niedersächsische Wasserstoffförderrichtlinie)
Laufzeit:  09/2021 - 12/2025

Im Zuge der voranschreitenden Transformation der auf fossilen Energieträgern aufbauenden Wirtschaft hin zu einem nachhaltigen, CO2e-neutralen Wirtschaftssystem nimmt die Speicherung von erzeugter Energie eine wesentliche Rolle ein, da die erneuerbaren Energien (Sonne, Wind) nicht auf Knopfdruck in der bedarfsdeckenden Menge verfügbar sind. In diesem Kontext gilt Wasserstoff als einer der wesentlichen Energieträger der Zukunft, da Wasserstoff mit überschüssiger Energie durch den elektrochemischen Prozess der Elektrolyse aus vollentsalztem Wasser erzeugt werden kann. Anschließend kann der so produzierte Wasserstoff bedarfsgerecht in Energie umgewandelt werden. Von Bedeutung ist der Wasserstoffeinsatz nicht nur in der Mobilität (Brennstoffzelle), sondern insbesondere auch in der Industrie; in vielen Industriebereichen ist die Anwendung von Wasserstoff zur Defossilisierung alternativlos.

Als Nebenprodukt der Wasserstofferzeugung mittels Wasserelektrolyse fällt Reinsauerstoff an. Sauerstoff ist bei der Abwasserreinigung essentiell für das Stattfinden aerober biologischer Prozesse. Derzeit werden biologische Reaktoren auf Kläranlagen unter hohem Energieaufwand mit Druckluft (O2-Gehalt ca. 21 %) belüftet. Die dafür erforderlichen Gebläse zählen zu den Hauptenergieverbrauchern der Abwasserreinigung. Durch die Nutzung von Reinsauerstoff könnte das eingebrachte Gasvolumen erheblich reduziert und somit der Energiebedarf einer Kläranlage deutlich gesenkt werden. Aus diesem Grund bietet sich eine Wasserstofferzeugung auf Kläranlagen an, da so das Nebenprodukt Reinsauerstoff direkt eingesetzt und die konventionelle Belüftung zumindest partiell ersetzt werden kann.

Im Rahmen des Forschungsprojekts SeWAGE PLANT H wird deshalb ein Elektrolyseur zur Wasserstofferzeugung (1. Ausbaustufe: 2,5 MW; 2. Ausbaustufe: 17 MW) auf der Kläranlage Hannover-Herrenhausen mit dem Ziel errichtet, durch die Nutzung aller Stoffströme zu einer tatsächlichen Sektorenkopplung beizutragen. Während der erzeugte Wasserstoff lokal als Energieträger eingesetzt wird (z. B. im öffentlichen Nahverkehr), wird der Sauerstoff direkt auf dem Klärwerk zur Unterstützung der biologischen Stufe eingesetzt. Die Abwärme des Elektrolyseurs wird in das örtliche Fernwärmenetz eingespeist. Durch den Einsatz von Prozesswasserströmen in der Elektrolyse ist es zudem möglich, wertvolle Trinkwasservorräte zu schonen und zum Wasserrecycling beizutragen.

Das Projekt wird durch das Land Niedersachsen im Rahmen der niedersächsischen Wasserstoffförderrichtlinie gefördert.

Das Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik (ISAH) übernimmt gemeinsam mit dem Institut für Elektrische Energiesysteme (IfES) die wissenschaftliche Begleitung des Forschungsvorhabens. Dabei werden die folgenden Arbeitsschwerpunkte bearbeitet:

Arbeitsschwerpunkt Reinsauerstoffnutzung

Der Arbeitsschwerpunkt Reinsauerstoffnutzung befasst sich mit verschiedenen Ansätzen zum Einsatz des erzeugten Reinsauerstoffs im Kläranlagenverbund Hannover-Herrenhausen/ Hannover-Gümmerwald. Die durchzuführenden Untersuchungen gliedern sich in drei Arbeitspakete:

  • Arbeitspaket Systemintegration Bestandssystem
  • Arbeitspaket Systemintegration Hochlaststufe
  • Arbeitspaket Systemintegration Ozonung

 

Im Arbeitspaket „Systemintegration Bestandssystem“ wird untersucht, wie der Reinsauerstoff im Hauptstrom (Belebung) der Kläranlage Hannover-Herrenhausen eingesetzt werden kann. Ein Forschungsfokus liegt dabei auf der Erhebung von Kennzahlen zur modelltechnischen Beschreibung der Mechaniken des Reinsauerstofftransfers ins Abwasser; diese Fragestellung wird in Kooperation mit dem Institut IWAR der TU Darmstadt bearbeitet. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fließen anschließend in die Entwicklung von Betriebskonzepten zur Reinsauerstoffnutzung in Abhängigkeit des täglich, wöchentlich und jährlich schwankenden Sauerstoffbedarfs der biologischen Stufe sowie der möglichen Reinsauerstoffbereitstellung durch den Elektrolyseur ein. Insbesondere ist zu klären, welcher Deckungsgrad des Sauerstoffbedarfs erreicht werden kann, wann Reinsauerstoff erzeugt/ zugegeben wird, ob eine Speicherung des Reinsauerstoffs erforderlich/ sinnvoll ist und wie eine mögliche Belüftungsstrategie aussehen kann. Die entwickelten Konzepte werden modelltechnisch erprobt und optimiert.

Das Arbeitspaket „Systemintegration Hochlaststufe“ umfasst Untersuchungen zur Nutzung des Reinsauerstoffs in einer separaten Hochlastbehandlungsstufe für bei der Schlammbehandlung anfallende stickstoffhaltige Prozesswässer. Zu diesem Zweck wird eine halbtechnische Versuchsanlage (Deammonifikation) betrieben. Aus dem Versuchsbetrieb werden Kennzahlen zur Stickstoffelimination mit Reinsauerstoff abgeleitet und mögliche Betriebskonzepte/ Regelstrategien entwickelt. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Emission des während der Nitritation gebildeten Treibhausgases Distickstoffmonoxid (N2O) gelegt; diese ist direkt vom eingebrachten Gasvolumenstrom abhängig (Strippung). Gelingt es, das gebildete N2O in der Wasserphase zu halten, kann es durch heterotrophe Denitrifikanten zu unschädlichem gasförmigem Stickstoff umgesetzt werden. Auch der halbtechnische

Versuchsbetrieb wird modelltechnisch begleitet, um so die Auswirkungen der Errichtung einer Deammonifikationsstufe auf den Hauptstrom zu ermitteln und optimierte Betriebsstrategien und Regelkonzepte für den großtechnischen Maßstab zu entwickeln.

Im Arbeitspaket „Systemintegration Ozonung“ wird basierend auf theoretischen Kennzahlen ein Konzept für die Verwendung des produzierten Reinsauerstoffs zur Ozonerzeugung erarbeitet. Hintergrund ist eine potentielle Nutzung des gereinigten Abwassers zur Bewässerung der Herrenhäuser Gärten. Hierfür sind hohe Anforderungen an die Belastung des gereinigten Abwassers mit Krankheitserregern und Keimen einzuhalten.

Abschließend wird aus Basis der erarbeiteten Ergebnisse in enger Abstimmung mit den Verbundpartnern und insbesondere der Stadtentwässerung Hannover als Betreiber der Kläranlagen Hannover-Herrenhausen und Hannover-Gümmerwald ein finales Konzept zur Nutzung des Reinsauerstoffs festgelegt. Dabei steht eine ganzheitliche Betrachtung im Vordergrund. Das ausgewählte Nutzungskonzept wird in der zweiten Projektphase großtechnisch umgesetzt.

Arbeitsschwerpunkt Systemanalyse zur Sektorenkopplung im Kontext von Abwasserbehandlungsanlagen

Im Arbeitspaket „Systemanalyse zur Sektorenkopplung im Kontext von Abwasserbehandlungsanlagen“ beschäftigen sich IfES und ISAH gemeinsam mit der Entwicklung einer Toolbox zur Gestaltung von P2X-Systemen auf Kläranlagen. Ziel der Toolbox, ist die Optimierung der Auslegung, Dimensionierung und Betriebsführung von P2X-Systemen im Rahmen der Sektorenkopplung unter Berücksichtigung energetischer, ökonomischer und ökologischer Kriterien. Zu diesem Zweck werden relevante Komponenten von Wasserelektrolyseanlagen, diesen vor- und nachgelagerte Prozesse sowie die Schnittstellen und Prozesse zur Sektorenkopplung (Mobilität und Fernwärme) modelliert. Außerdem werden die Schnittstellen sowie relevante Prozesse und Komponenten der Kläranlage modelliert. Weiterhin werden geeignete Schaltungsvarianten und Betriebsführungskonzepte für P2X-Systme an Kläranlagen identifiziert und modelltechnisch abgebildet. Das ISAH bewertet die ökologischen Auswirkungen der vom IfES entwickelten Konzepte durch die Entwicklung ökologischer Modelle. Die entsprechenden ökologischen Modelle werden in die Toolbox integriert und ermöglichen so eine integrierte ökologische Bewertung bei der Optimierung des Gesamtsystems. Die entwickelte Toolbox soll als „Blaupause“ dienen, um zukünftig die Übertragung solcher Konzepte auf weitere Kläranlagen in Deutschland und ggf. darüber hinaus zu ermöglichen.

Die ökologischen Bewertungsmodelle werden gemäß DIN EN ISO 14040 und DIN EN ISO 14044 entwickelt. Hauptziele der ökologischen Bewertung sind:

  • die Ermittlung der direkten und indirekten Emissionen, die durch den Einsatz von reinem Sauerstoff zur biologischen Abwasserreinigung und Ozonung entstehen sowie
  • die Identifizierung der ökologischen Folgen der Integration der Wasserelektrolyseanlage in die Kläranlage.

Um die ökologischen Vor- und Nachteile zu prognostizieren und die kritische Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung der ökologischen Folgen zu unterstützen, wird ein Vergleich zwischen dem Status Quo und den Ergebnissen der Modellrechnungen vorgenommen. Somit wird ein „Entscheidungsunterstützungssystem“ mit Modellcharakter entwickelt.